Die großen – und im Übrigen auch pädagogisch denkenden – Musiker Muzio Clementi und Johann Joseph Fux waren sehr mutig, vor 200 bzw. 300 Jahren: Beide nannten ihre tatsächlich außerordentlich beeindruckenden Lehrwerke jeweils „Gradus ad Parnassum“, das eine für die Entwicklung einer guten Klaviertechnik, das andere für das tiefe Verständnis der Lehre des Kontrapunkts – eine Kunst, die Claude Debussy als die „umständlichste Sache, die es gibt in der Musik“ bezeichnete. Aber dies brachte er in tiefster Bewunderung für den großen Meister Palestrina zum Ausdruck, dem in dem Fux’schen „Gradus“ ein Denkmal gesetzt worden war.
Dennoch verlor Debussy seinen augenzwinkernden Humor nicht vor lauter Ehrfurcht und nannte das erste Stück aus seiner Sammlung Children’s Corner „Dr. Gradus ad Parnassum“.
„Doktor Gradus…!“, wobei er vermutlich eher an Clementi dachte als an Fux. Jedenfalls ganz schön frech – aber er wollte liebend gerne Wissens- bzw. Könnenswertes auch spielerisch vermitteln, ohne lähmendes Erschauern vor der Tradition und ohne stumpfsinniges Wiederholen technischer Formeln. Sein Töchterchen sollte bald mit dem Klavierspiel anfangen, tat dies auch, aber wie vorherzusehen, war Papa Debussy gar nicht zufrieden mit dem Unterricht.
Heute trauen wir uns nicht mehr, mit dem Parnass das Ziel so genau zu bestimmen. Götter oder Musen können wir nicht werden. Sehen wir uns lieber als eine Art Bergsteiger. Was unbedingt bleibt, ist die nicht zu leugnende pädagogische Wahrheit, dass man Stufen nicht überspringen darf. Wer es versucht, wird auf die Nase fallen oder irgendwann zurücksteigen müssen, um Versäumtes nachzuholen. Und dann wird es doppelt schwer. Höchstbegabte scheinen manchmal drei Stufen auf einmal zu nehmen, aber doch lassen sie keine aus. Und den Parnass gibt es für uns nicht – leider oder glücklicherweise – denn, wie Robert Schumann schrieb: „Es ist des Lernens kein Ende“. Da hilft die schöne Vorstellung, dass der „Weg“ das „Ziel“ sei. Der eine Sinnspruch spornt an, der andere hilft, in der Balance zu bleiben – beides von größtem Wert, insbesondere für jene jungen Menschen, die schon so viele Stufen genommen haben und dennoch voller Hoffnungen und Erwartungen in die Zukunft schauen. Es ist eine ebenso wichtige wie schöne Aufgabe, sie hierbei an der Hand zu nehmen.