Bernd Goetzke

Dozent der Gradus International
Piano Academy Mainz

»Es war vor vielen Jahren, dass in einem Gespräch am Rande einer Sitzung der damalige Präsident der hannoverschen Musikhochschule, Richard Jakoby, in einem Nebensatz von der „menschenformenden Kraft der Musik sprach“. Von jener Sitzung ist mir nichts in Erinnerung geblieben, aber diese kleine Formel sehr wohl. Sie war leicht dahin gesagt, offenbar ein Zitat, das er nicht zum ersten Mal verwandte, und doch hakte sie sich tief in meinem Hirn fest und findet seitdem immer wieder einmal den Weg an die Oberfläche.

Hier war in knappster Form gleich eine Reihe von Aspekten zusammengefasst, denn die menschenformende Kraft der Musik erreicht ja nicht nur die Spielenden und Lernenden, sondern auch die Hörenden und Lehrenden, und in all diesen Funktionen fand ich mich angesprochen.

Das eigentlich recht allgemeine Attribut „menschenformend“ ist hier sicherlich in einem ausschließlich idealistischen Sinne gemeint, in dem ich aber ihren Wahrheitsgehalt tausendfach bestätigt gefunden habe. Genug Motivation also für ein ganzes Berufsleben!

Was ich allerdings nicht hatte vorhersehen können, waren Entwicklungen, die mir mittlerweile durchaus Sorgen bereiten. Ich sehe so Einiges bedroht, was ich früher – naiverweise – als für alle Zeiten gesichert gehalten hatte. Ich nenne hier nur einmal die weiten Felder des stilistischen Verständnisses, des Hintergrundwissens, der differenzierten Klangproduktion, des Hörens, der Ausdeutung des Notentextes, der individuellen Phantasie, des künstlerischen Forschergeistes.  

Neben dem hervorragenden Klavierspiel, das wir nach wie vor als das Resultat von ebensolchem Unterricht erleben, haben sich auch Varianten ausgeformt, von denen zu hoffen ist, dass sie sich nicht etablieren oder gar dominant werden. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, weil wir es hier mit großen Zahlen zu tun haben. Man fürchtet eine Art Kipppunkt, wenn nämlich eine einstige Majorität zur Minorität werden sollte.

Und dann funktioniert unsere schöne Formel nicht mehr. Das heißt, bevor die Musik ihre besonderen Kräfte entfalten kann, sind wir Lehrenden heute in besonderer Weise gefordert. Wenn das kein Auftrag ist!«

Prof. Bernd Goetzke

Bernd Goetzke, geb. 1951, wurde als 13jähriger an der Hochschule für Musik und Theater Hannover angenommen und studierte bei Prof. Karl-Heinz Kämmerling. Von 1969 bis 1977 arbeitete er mit Arturo Benedetti Michelangeli zusammen, der Goetzke als seinen letzten Schüler bezeichnete. In der Hochschule in Hannover wurde er 1982 Professor, gründete im Jahr 2000 das Hochbegabten-Institut IFF, das deutschlandweit zum Modell wurde, und war Jahrzehnte lang Leiter des Studienganges Soloklassen.

Hier unterrichtet er eine große internationale Klasse von jungen Pianist*innen, von denen viele bedeutende Preise gewonnen haben und eine vielversprechende Karriere begonnen haben. Dazu gehören u.a. die ersten Preise im Deutschen Musikwettbewerb Berlin, im Busoni-Wettbewerb Bolzano, im Beethoven-Wettbewerb Bonn, in der Hilton Head International Piano Competition, im Van-Cliburn-Wettbewerb, in der Santa Cecilia Competition Porto, im Enescu-Wettbewerb Bukarest.

Neben seiner Hochschultätigkeit gibt Bernd Goetzke weltweit Meisterkurse und wird oft als Jurymitglied zu internationalen Wettbewerben eingeladen. So führte er u.a. über mehrere Jahre die von Wilhelm Kempff und Alfred Cortot gegründeten Beethoven-Kurse in Positano fort. Beethoven und Debussy bezeichnet er als die beiden „Brennpunkte“ seines Repertoires. Dies findet u.a. Ausdruck in seiner 2018 veröffentlichten Erst-Übersetzung von ca. 500 Briefen von Debussy ins Deutsche.